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Baubewilligung trotz zivilrechtlichem Bauverbot

15.07.2021

Baurecht – Baubehörden beurteilen Baugesuche grundsätzlich nur nach öffentlich-rechtlichen Kriterien, obschon privatrechtliche Dienstbarkeiten einem Bauvorhaben entgegenstehen und dieses verhindern oder zumindest verzögern können. Mit dieser Problematik und der Frage, wie man im Konfliktfall mit Dienstbarkeiten umgehen kann, befasst sich der folgende Beitrag.

Die Baubehörde bewilligt eine geplante Baute oder Nutzungsart grundsätzlich dann, wenn diese den öffentlich-rechtlichen Bau- und Nutzungsvorschriften entspricht. Durch die Erteilung der Baubewilligung werden aber möglicherweise Dienstbarkeiten zugunsten Dritter verletzt.

Privatrechtliche Dienstbarkeiten

In der Schweiz existieren rund vier Millionen Grundstücke. Soll ein Grundstück überbaut werden, verschafft sich der Eigentümer mit einem Blick ins Grundbuch Klarheit über die Rechte, Lasten und Pflichten, die mit der Nutzung seines Grundstücks verbunden sind. Dazu gehören die privatrechtlichen Dienstbarkeiten.

Mit der Errichtung von Dienstbarkeiten ist es benachbarten Grundeigentümern möglich, untereinander eigene zivilrechtliche Bauvorschriften aufzustellen, an die sie sich zu halten haben. Diesen privatrechtlichen Dienstbarkeiten wird bei Bauvorhaben jedoch oft nicht die erforderliche Beachtung geschenkt, was regelmässig zu Streit und Bauverzögerungen führt. 

Zivilrechtsweg für betroffene Nachbarn

Das öffentlich-rechtliche Baubewilligungsverfahren bietet grundsätzlich keine Plattform für zivilrechtliche Ansprüche Dritter. Der dienstbarkeitsberechtigte Grundeigentümer kann seine Ansprüche aber auf dem Zivilrechtsweg geltend machen, wenn ein Bauvorhaben die Ausübung seiner Dienstbarkeit künftig verhindert oder erschwert (Art. 737 Abs. 3 ZGB). Den Zivilrechtsweg müssen auch dienstbarkeitsbelastete Nachbarn beschreiten, die eine unzulässige Mehrbelastung befürchten, weil sich durch das Bauvorhaben die Bedürfnisse des berechtigten Grundstücks ändern (Art. 739 ZGB). Solche Befürchtungen bestehen etwa bei einem Wegrecht, wenn das Einfamilienhaus auf dem Nachbargrundstück abgerissen und ein Mehrfamilienhaus gebaut werden soll.

Bauen trotz Bauverbot

Sofern ein Nachbar bereits in einer Baueinsprache zivilrechtliche Ansprüche geltend macht, werden diese im Sinne einer zivilrechtlichen Baueinsprache zur Kenntnis genommen. Die Baueinsprache dient bloss der offiziellen Orientierung des Baugesuchstellers über behauptete Privatrechtsverletzungen und allfällige Entschädigungsforderungen benachbarter Grundeigentümer. In verschiedenen Kantonen wird aber gleichzeitig mit Erteilung der Baubewilligung auch eine Klagefrist für Zivilrechtsansprüche angesetzt.

Es ist somit denkbar, dass ein Bauvorhaben von den Baubehörden bewilligt wird, obschon auf dem Baugrundstück ein zivilrechtliches Bauverbot als Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen ist. Eine solche Konstellation kann folglich zu einer Dienstbarkeitsverletzung führen. Im Extremfall wird das Zivilgericht einen Rückbau der dienstbarkeitswidrigen Baute anordnen. 

Auslegung von Dienstbarkeiten

Die Auslegung einer Dienstbarkeit (auch wenn sie vorfrageweise von einer Baubehörde oder einem Verwaltungsgericht vorgenommen wird) hat stets nach den zivilrechtlichen Regeln zu erfolgen, d. h. nach der Stufenordnung gemäss Art. 738 ZGB. Konkret bedeutet dies Folgendes: Soweit sich Rechte und Pflichten aus dem Eintrag – also dem Stichwort im Grundbuch – deutlich ergeben, ist dieser für den Inhalt der Dienstbarkeit massgebend. Im Rahmen dieses Eintrags kann sich der Inhalt der Dienstbarkeit sodann aus dem Begründungsvertrag oder aus der Art ergeben, wie sie während längerer Zeit unangefochten und in gutem Glauben ausgeübt worden ist. 

Natürliche Publizität

Zu beachten ist auch die sogenannte natürliche Publizität. Sie besagt, dass der Erwerber eines Grundstücks ein Rechtsverhältnis gegen sich gelten lassen muss, das ihm auf dem Grundstück durch seine eindeutige äussere Erscheinung oder bauliche Anlage entgegentritt. Ist auf dem Grundstück also beispielsweise eine Weganlage ersichtlich, kann der Erwerber später nicht argumentieren, der Weg müsse verlegt werden, weil sich das Wegrecht gemäss Begründungsvertrag an einem anderen Ort auf dem Grundstück befinde.

Nutzungsübertragungen

In einzelnen Kantonen ist es möglich, bei der Realisierung eines Bauvorhabens die zulässigen Nutzungsmöglichkeiten zu überschreiten, sofern von einem Nachbargrundstück eine Nutzungsreserve übertragen wird. So dürfen etwa auch die für ein Bauvorhaben vorgeschriebenen Pflichtparkplätze auf einem Nachbargrundstück nachgewiesen werden. Die dauerhafte Sicherstellung erfolgt dabei regelmässig durch eine öffentlich- rechtliche Eigentumsbeschränkung, die als sogenannte Anmerkung ins Grundbuch aufgenommen wird.

Gewerbebeschränkungen

Gewerbeverbots-Dienstbarkeiten können zwar nicht die Realisierung von Bauvorhaben verhindern, jedoch die damit beabsichtigte Nutzung. Wichtig ist, dass solche Dienstbarkeiten präzis formuliert werden. Wenn beispielsweise der Betrieb eines bestimmten Gewerbes (z.B. Bäckerei) verboten wird, bedeutet dies nicht, dass auch der Verkauf entsprechender Produkte (z.B. Backwaren) untersagt ist. Allerdings darf die Gewerbebeschränkung nach herrschender Lehre kein reines Konkurrenzverbot beinhalten.

Ablösung von Dienstbarkeiten

Der Eigentümer eines belasteten Grundstücks kann beim Gericht die Löschung einer Dienstbarkeit verlangen, sofern er behauptet, dass das berechtigte Grundstück alles Interesse an ihr verloren hat (Art. 736 Abs. 1 ZGB). Es muss in einem solchen Fall geprüft werden, ob der Berechtigte tatsächlich kein Interesse mehr daran hat, die Dienstbarkeit zum ursprünglichen Zweck auszuüben. Eine gerichtliche Löschung kommt oft bei sehr alten Dienstbarkeiten vor, die keinen Bezug mehr zur heutigen Zeit haben. Als Beispiel dient etwa ein Holzabfuhrrecht auf einem ursprünglichen Waldgrundstück, das man aber vor vielen Jahren in Bauland umgewandelt hat.

Stellt das Gericht fest, dass der Berechtigte nur noch ein geringes Interesse an der Dienstbarkeit hat – vor allem auch im Verhältnis zur entsprechenden Einschränkung des Belasteten –, kann es die Dienstbarkeit gegen Entschädigung auch gegen den Willen des Berechtigten ganz oder teilweise ablösen (Art. 736 Abs. 2 ZGB).

Verlegung von Dienstbarkeiten

Wird durch die Ausübung einer Dienstbarkeit nur ein Teil des Grundstücks in Anspruch genommen, kann der Grundeigentümer, wenn er ein Interesse nachweist und die Kosten übernimmt, die Verlegung auf eine andere, für den Berechtigten nicht weniger geeignete Stelle verlangen (Art. 742 Abs. 1 ZGB). In der Praxis kommt es ab und zu vor, dass ein Wegrecht verlegt wird, damit ein Bauvorhaben realisiert werden kann.

ROLAND PFÄFFLI Prof. Dr. iur., Notar, Thun Konsulent bei Von Graffenried Recht, Bern

MASCHA SANTSCHI KALLAY Dr. iur., Rechtsanwältin, Meggen Konsulentin bei epartners Rechtsanwälte AG, Zürich

Enteignung von Dienstbarkeiten

In Art. 15a des Raumplanungsgesetzes ist vorgesehen, dass die Kantone in Zusammenarbeit mit den Gemeinden Massnahmen zur Förderung der Verfügbarkeit von Bauland ergreifen können. Davon haben die Kantone Bern und Luzern bereits Gebrauch gemacht. Diese sehen in ihren Baugesetzen vor, dass bauhindernde Dienstbarkeiten, die eine innere Verdichtung und somit die notwendige rationelle Nutzung des Bodens verhindern, auf dem Weg der Enteignung abgelöst werden können.

Hier ist zu bemerken, dass das öffentliche Interesse an der inneren Verdichtung nicht dazu missbraucht werden darf, um bauhindernde Dienstbarkeiten einzig oder primär im Interesse der Dienstbarkeitsbelasteten abzulösen.

Vorschlag aus der Lehre: Bereinigungsverfahren

Durch gerichtlich ausgetragene Dienstbarkeitskonflikte wird die Bautätigkeit erheblich verzögert, und es entstehen Prozesskosten für alle Parteien. Darüber hinaus bringt die streitbedingte Bauverzögerung für den Bauherrn oft auch Mehrkosten in Form höherer Projektierungskosten (mehrmalige Anpassung bzw. Überarbeitung des Bauprojekts) und höherer Baukosten (zwischenzeitliche Preiserhöhungen) sowie Mietzinsausfälle oder verspätete Verkaufserlöse mit sich.

Statt zu prozessieren, schlägt der Autor einer aktuellen Publikation ein Dienstbarkeits-Bereinigungsverfahren vor, das in die kantonalen Baubewilligungsverfahren integriert werden könnte (siehe Sacha Vallati, Dienstbarkeiten und Bauvorhaben, Zürich 2021). Die Idee ist ein aussergerichtliches Schlichtungsverfahren, in welchem die kommunale Baubehörde (falls nötig) im Rahmen einer Einigungsverhandlung aktiv zur Konfliktbeilegung beiträgt und allfällige Zivilprozesse vor der Weiterführung des sistierten Baubewilligungsverfahrens ausgetragen werden. Im Sinne einer optimierten Prozessökonomie können damit parallele Verfahren sowie widersprüchliche Zivil- und Verwaltungsgerichtsurteile verhindert werden. Dieser Vorschlag ist sinnvoll und sollte weiterverfolgt werden.